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Progressionsvorbehalt: So beeinflussen steuerfreie Einkünfte die Höhe deiner Steuern

von Thorsten Schierhorn, 12.08.2024

Ein unbedachter Schritt, ein Sturz – und prompt liegt man wochenlang im Krankenbett. Da ist an Arbeit natürlich nicht zu denken. Und das Gehalt? Die Krankenkasse federt den Verlust ein wenig ab. So ein Krankengeld gibt es sogar steuerfrei. Aber das heißt nicht, dass damit für den Staat alles erledigt ist. Denn solche Gelder unterliegen dem Progressionsvorbehalt. Und der kann zu höheren, aber auch zu niedrigeren Steuern führen. Wie und warum – die KlarMacher zeigen es dir.

Themen in diesem Artikel

Auf den Punkt

  • Der Progressionsvorbehalt bezieht sich auf Lohnersatzleistungen wie Kurzarbeitergeld, Arbeitslosengeld, Elterngeld und ähnliches.
  • Diese Einnahmen sind steuerfrei.
  • Bei der Berechnung, wie viel Prozent du vom steuerpflichtigen Einkommen abgeben musst, werden sie jedoch miteinbezogen.
  • Das kann zu Steuernachzahlungen, aber auch zu Steuerrückerstattungen führen.
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Was bedeutet Progressionsvorbehalt?

Progressionsvorbehalt heißt: Sogenannte Lohnersatzleistungen (zum Beispiel Krankengeld, Arbeitslosengeld und Kurzarbeitergeld) sind steuerfrei – und trotzdem haben sie Einfluss darauf, wie viel Steuern du bezahlst.

Was zunächst etwas widersprüchlich klingt, ist eigentlich leicht zu erklären. Bei deiner Steuerberechnung schaut das Finanzamt, wie viel Geld du im betreffenden Jahr verdient hast. Je höher dein Einkommen, umso mehr musst du prozentual an Steuern zahlen. Dieser Prozentwert ist der Durchschnittssteuersatz.

Und was hat das mit dem Progressionsvorbehalt zu tun? Ganz einfach: Zwar gibst du von den Lohnersatzleistungen nichts an die Steuer ab. Aber: Bei deinem übrigen Einkommen gilt der Durchschnittssteuersatz, als würde man Gehalt und Lohnersatzleistungen zusammenzählen. Was das bedeutet, wird an dem folgenden Beispiel klar.

Beispiel: Progressionsvorbehalt berechnen

Angenommen, dein steuerpflichtiges Einkommen beträgt 30.000 Euro. Hierfür müsstest du laut Grundtabelle 2024 normalerweise 4.446 Euro Einkommensteuer zahlen. Das entspricht einem Durchschnittssteuersatz von 15 Prozent.

Im Jahr 2024 beziehst du für unser Beispiel zusätzlich 10.000 Euro Kurzarbeitergeld. Weil Kurzarbeitergeld steuerfrei ist, werden zwar trotzdem nur die 30.000 Euro besteuert – aber mit dem Durchschnittssteuersatz für 40.000 Euro (30.000 Euro plus 10.000 Euro). Laut Tabelle sind das 19 Prozent. 

Deine Einkommensteuer würde also auf 5.700 Euro steigen. 

Wenn du tatsächlich Lohnersatzleistungen bekommst und wissen möchtest, was das für deine Steuer bedeutet, hilft dir dieser Progressionsvorbehalt-Rechner des Bayerischen Landesamtes für Steuern.

Und mehr zum Durchschnittssteuersatz erfährst du in dem Artikel „Steuerprogression: Was bedeutet das?“.

Übrigens: Nicht immer führt der Progressionsvorbehalt dazu, dass deine Steuerschuld steigt. Sie kann auch sinken. Denn die Lohnersatzleistungen – der Name verrät es schon – erhältst du in der Regel nicht zusätzlich zu deinem üblichen Einkommen, sondern stattdessen. Das heißt, dein steuerpflichtiges Einkommen ist geringer als normalerweise. Und damit sinkt auch dein Durchschnittssteuersatz. Sogar wenn man die Lohnersatzleistungen zum Einkommen hinzuzählt, bleibst du möglicherweise unter deinem üblichen Steuersatz. In dem Fall bekommst du die Steuern zurückerstattet.

Frau unterschreibt an der Tür für einen Boten eine Empfangsbestätigung
© istock/LumiNola/2019  Wenn es dank Progressionsvorbehalt Steuern zurückgibt, ist vielleicht sogar ein Geschenk für sich selbst drin.

Welche Einkünfte stehen unter Progressionsvorbehalt?

Die Lohnersatzleistungen gibt es für alle, die zeitweise nicht wie gewohnt zur Arbeit gehen und Ihr volles Gehalt verdienen können. Das sind vor allem jene, die arbeitslos werden, längere Zeit krank sind oder sich in Elternzeit befinden.

Bei diesen Leistungen gilt der Progressionsvorbehalt:

  • Arbeitslosengeld, Teilarbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe und vergleichbare Leistungen
  • Kurzarbeitergeld und Aufstockungsbeträge des Arbeitgebers zum Kurzarbeitergeld
  • Krankengeld, Verletztengeld, Übergangsgeld und vergleichbare Leistungen
  • Mutterschaftsgeld, Elterngeld und vergleichbare Leistungen
  • Insolvenzgeld, Übergangsgeld für Menschen mit Behinderung, Entschädigungen für Verdienstausfall nach dem Infektionsschutzgesetz, Aufstockungsbeträge bei Altersteilzeit und andere

Du lebst in Deutschland, verdienst dein Geld im Ausland und versteuerst es dort? Dann bezahlst du bei einem Doppelbesteuerungsabkommen hierzulande nicht noch einmal Steuern. Aber auch für solche ausländischen Einkünfte gilt der Progressionsvorbehalt.

Achtung: Es gibt einige Zahlungen, die den genannten Lohnersatzleistungen ähnlich sind, aber nicht dazu gehören. Das sind zum Beispiel Grundsicherung, Gründungszuschuss, BAföG und ähnliche. Für diese Einkommen gilt kein Progressionsvorbehalt. Genauso wenig wie fürs Betreuungsgeld beziehungsweise Landeserziehungsgeld (das es nur noch in Bayern und Sachsen gibt) und Pflegegeld.

Eine Liste mit allen Geldern, die unter Progressionsvorbehalt stehen, findest du im § 32b Einkommensteuergesetz (EStG)

Junger Mann im Rollstuhl mit Klemmbrett
© istock/michaelpuche/2015  Auch Krankengeld steht unter Progressionsvorbehalt – einen Teil der Unterstützung sollte man sich eventuell für die Steuer zurücklegen.

Muss ich eine Steuerklärung abgeben?

Ja. Und zwar, wenn du in einem Jahr mehr als 410 Euro an Lohnersatzleistungen bezogen hast (diese Grenze gilt auch bei gemeinsam veranlagten Ehepartner*innen). Dann bist du zur Abgabe einer Steuererklärung verpflichtet. Die muss bis zum 31. Juli des Folgejahres beim Finanzamt sein.

Den Gesamtbetrag, den du als Kurzarbeitergeld, Zuschuss zum Mutterschaftsgeld und/oder Zuschlägen und Aufstockungsbeiträgen bekommen hast, trägst du in deiner Steuererklärung in Zeile 28 der Anlage N ein. Die genaue Summe findest du auf deiner Lohnsteuerbescheinigung.

Alle anderen Lohnersatzleistungen (Arbeitslosengeld, Mutterschaftsgeld und so weiter) notierest du im Mantelbogen unter „Sonstige Abgaben und Anträge“ in der Zeile „Einkommensersatzleistungen, die dem Progressionsvorbehalt unterliegen“. Normalerweise erhältst du automatisch eine „Bescheinigung für das Finanzamt“ von der Stelle, die dir das Geld ausgezahlt hat (zum Beispiel Arbeitsagentur, Krankenkasse). Achte darauf, jede Lohnersatzleistung nur einmal einzutragen.

Ausländische Einkünfte – wenn sie steuerfrei sind, aber dem Progressionsvorbehalt unterliegen – trägst du auf der Seite 2 der Anlage AUS ein.

Tipp: Steuern zurückbekommen?

Dein Durchschnittsteuersatz ist gesunken, weil du zum Beispiel eine Zeit lang Krankengeld statt deines normalen Lohns erhalten hast? Und das Finanzamt hat dir eine nette Summe zurücküberwiesen? Dann lege das Geld doch gleich smart an – zum Beispiel als Tagesgeld bei der Hanseatic Bank – und kassiere dafür zusätzlich Zinsen.

Kann man den Progressionsvorbehalt umgehen?

Nein. Und es wäre nicht sehr ratsam, es zu versuchen. Denn sowohl der Arbeitgeber als auch die Krankenkasse, die Arbeitsagentur und so weiter melden ans Finanzamt, welche Lohnersatzleistungen an dich ausgezahlt wurden.

Allerdings können Ehepaare an der Höhe der Nachbesteuerung etwas drehen. Wenn sie gemeinsam veranlagt werden, kann nämlich folgender Fall eintreten:

  • Ehepartner*in 1 hat (steuerfreie) Lohnersatzleistungen bezogen und
  • Ehepartner*in 2 hat ein hohes (steuerpflichtiges) Einkommen bezogen.
  • Das Einkommen von Person 2 würde wegen der Lohnersatzleistungen von Person 1 höher besteuert als üblicherweise.

Der Ausweg: Eine Einzelveranlagung, sprich beide Ehepartner*innen versteuern ihre Einkommen selbst. Das geht ganz einfach, indem du auf Seite 1 des Mantelbogens in Zeile 24 die Option „Einzelveranlagung“ wählst. Das gilt dann nur für das betreffende Jahr.

Nun hat das Einkommen von Person 1 keinen Einfluss mehr auf die Steuern bei Person 2. Allerdings fällt der Splittingtarif weg, der im Normalfall günstiger kommt. Per Steuersoftware oder einem Online-Steuerrechner kannst du ausrechnen, was vorteilhafter ist. Oder wende dich an eine Steuerberatung.

Pärchen blickt gemeinsam auf Papiere, auf dem Tisch steht noch ein Laptop und ein Tablet
© istock/bernardbodo/2019  Ehepaare können den Progressionsvorbehalt umgehen – was sich aber nicht immer lohnt.

Warum gibt es den Progressionsvorbehalt?

Auf den ersten Blick erscheint es vielleicht ungerecht, dass steuerfreie Einkünfte trotzdem Einfluss auf die Steuerhöhe haben – quasi durch die Hintertür. Dabei ist das Gegenteil das Ziel: Der Progressionsvorbehalt soll für mehr Gerechtigkeit sorgen.

Um den Gedanken zu verstehen, sehen wir uns folgendes Szenario an:

  • Ein*e Arbeitnehmer*in hat das ganze Jahr in Vollzeit gearbeitet und dabei 30.000 Euro verdient.
  • Ein*e andere*r Arbeitnehmer*in hat nur zu 50 Prozent gearbeitet, kommt mit Kurzarbeitergeld aber ebenfalls auf ein Einkommen von 30.000 Euro.

Wenn es den Progressionsvorbehalt nicht gäbe, müsste Person 2 nicht nur weniger Geld versteuern (nämlich nur den Lohn), sondern das auch noch mit einem geringeren Steuersatz. Person 1 dagegen hätte mehr gearbeitet und müsste obendrein prozentual mehr Steuern bezahlen – und damit sogar das Kurzarbeitergeld von Person 2 mitfinanzieren.

So ein Ungleichgewicht soll der Progressionsvorbehalt ausgleichen.

Progressionsvorbehalt – einfach erklärt!

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© Lohnsteuerberatungsverbund e. V. 

Was ist ein negativer Progressionsvorbehalt?

Und wenn es keine zusätzlichen steuerfreien Einnahmen gegeben hat, sondern Verluste? Dann dürfen diese vom steuerpflichtigen Einkommen abgezogen werden, damit du nicht einen noch höheren Durchschnittssteuersatz darauf zahlen musst.

Verluste bei steuerfreien Einnahmen? Das kann in den folgenden Fällen auftreten:

  • Du hast bei deinen Geldanlagen im Ausland Geld verloren.
  • Du musst einzelne Lohnersatzleistungen zurückzahlen, zum Beispiel, wenn du zu Unrecht Arbeitslosengeld bezogen hast.

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