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Steuerprogression: Was bedeutet das? Die wichtigsten Fragen kinderleicht erklärt

von Thorsten Schierhorn, 24.06.2024

Der Staat braucht Steuern, um davon Kindergärten und Schulen einzurichten, Straßen zu bauen und zu erhalten sowie Polizist*innen, Richter*innen und Lehrer*innen zu bezahlen. So weit, so nachvollziehbar. Trotzdem zahlt kaum jemand gern Steuern. Dabei bemüht sich das Steuersystem in Deutschland um Gerechtigkeit, und zwar durch die Steuerprogression. Was sich dahinter verbirgt und wie sie funktioniert, erklären wir hier.

Themen in diesem Artikel

Auf den Punkt

  • Wer in Deutschland mehr verdient, muss mehr Steuern zahlen. 
  • Dieses Prinzip „Mehr Einkommen = höhere Steuern“ wird als Steuerprogression bezeichnet. 
  • Dabei steigen die Steuern oberhalb des steuerfreien Grundfreibetrages in fünf Stufen (Tarifzonen) an. 
  • Eine höhere Inflation mindert den Wert des Einkommens. Dieser Effekt wird als kalte Progression bezeichnet. 
  • Um die kalte Progression auszugleichen, hebt die Regierung die Grenzwerte für die einzelnen Steuerstufen jedes Jahr an. 

Steuerprogression heißt: Wer mehr verdient, zahlt mehr

Steuerprogression bedeutet einfach ausgedrückt: Wer wenig verdient, zahlt in Deutschland niedrige oder sogar gar keine Steuern. Wer mehr verdient, zahlt mehr Steuern. Und wer richtig viel verdient, muss einen noch höheren Anteil seines Einkommens an den Staat abgeben. Dieses Prinzip „Mehr Einkommen = höhere Steuern“ nennt man Steuerprogression (das Wort Progression stammt vom lateinischen progressio = Fortschritt).  

Der Grundgedanke ist einfach: Zur Finanzierung der Staatsausgaben soll jede*r so viel beitragen, wie er*sie kann. Das soll die Besteuerung möglichst gerecht machen. 

Die Besteuerung läuft in Stufen

Wie funktioniert das mit der ansteigenden Besteuerung in der Praxis? Gibt es einen Steuersatz X für niedrige Einkommen und einen Steuersatz Y für hohe? Ganz so einfach ist es nicht. Rechnerisch wird nämlich nicht das ganze Einkommen auf einmal versteuert. Stattdessen wird es aufgeteilt in mehrere Stufen. Für jede Stufe, also für verschiedene Teile deines Einkommens, wird dir eine eigene Einkommensteuer berechnet. Der Steuersatz steigt dabei von Stufe zu Stufe an (siehe Grafik). Die Steuerstufen hat der Gesetzgeber in fünf Tarifzonen zusammengefasst. Am Ende werden alle diese einzelnen Steuersummen zusammengerechnet – fertig ist dein Steuerbescheid. 

Natürlich gibt es heute Computerprogramme, in denen gespeichert ist, wie viel Einkommensteuer am Ende fällig wird. So einen Rechner findest du zum Beispiel auf dieser Website des Bundesfinanzministeriums. Aber welche Rechnung steckt dahinter? Sehen wir es uns an.

Höhere Stufe = höherer Steuersatz

Zunächst zieht dir das Finanzamt alle möglichen Freibeträge von deinem Bruttoeinkommen ab, zum Beispiel Kinderfreibeträge, Sonderausgaben und eine Werbungskostenpauschale. Was übrig bleibt, ist das zu versteuernde Einkommen. Das wird nun stufenweise wie folgt besteuert:

Einkommen bis 11.604 Euro

Für die Berechnung der Steuern wird immer das Jahreseinkommen betrachtet. Zunächst berücksichtigen die Steuerberechnungsprogramme die ersten 11.604 Euro, die du im entsprechenden Jahr verdient hast. So hoch ist der sogenannte Grundfreibetrag (Stand: 2024), auch steuerfreies Existenzminimum genannt. Für diesen Teil deines Einkommens musst du überhaupt keine Steuern bezahlen.

Der Grundfreibetrag gilt immer und für alle. Das heißt: Selbst wer im Jahr eine Million Euro verdient, zahlt für 11.604 Euro davon nicht einen Cent Steuern.

Vater sitzt mit Kleinkind an einem Tisch und blickt in Steuerunterlagen
© istock/MartinPrescott/2016  Wer wenig verdient oder zum Beispiel durch Kinderfreibeträge unter dem Grundfreibetrag liegt, zahlt gar keine Einkommensteuer.

Einkommen über 11.604 Euro

Dein zu versteuerndes Einkommen liegt über 11.604 Euro? Dann zahlst du für dein Einkommen in dieser Stufe den Eingangssteuersatz von 14 Prozent (auch Einstiegssteuersatz genannt). Wichtig: Diese 14 Prozent werden nur auf die Summe fällig, die über dem Grundfreibetrag liegt. 

Beispiel: Du hast ein zu versteuerndes Einkommen von jährlich 11.605 Euro. Damit liegst du genau einen Euro über der Grenze des Grundfreibetrages. Nur für diesen einen Euro zahlst du den Eingangssteuersatz von 14 Prozent, denn die anderen 11.604 Euro sind ja steuerfrei. Deine Einkommensteuer beträgt in diesem Fall also 14 Prozent von 1 Euro = 14 Cent. 

Höhere Einkommen

Wann immer dein Einkommen die nächste Stufe überschreitet, wird der Betrag über dieser Stufengrenze einzeln versteuert. Der Steuersatz steigt dabei kontinuierlich an. Stufe für Stufe wächst so die Summe, die du als Einkommensteuer ans Finanzamt abführen musst (siehe Grafik). 

Der Steuersatz steigt nicht unendlich. Auf alles ab einem jährlichen Einkommen von 66.761 Euro wird der Spitzensteuersatz von 42 Prozent fällig. 

Höher ist dann nur noch der Steuersatz in der „Proportionalzone II“. Das ist der sogenannte Höchststeuersatz - auch als Reichensteuer bekannt: 45 Prozent auf alles ab einem Jahreseinkommen von 277.826 Euro (Stand jeweils: 2024). 

Einkommensteuertarif: Die fünf Tarifzonen

Das System mit den Steuerstufen ist in § 32a Einkommensteuergesetz (EStG) geregelt. Hier sind die einzelnen Stufen in fünf Tarifzonen eingeteilt.

  1. Tarifzone 1: Das ist der Grundfreibetrag mit 0 Prozent Steuern, auch Nullzone genannt.
  2. Tarifzone 2: Die gilt für ein zu versteuerndes Einkommen von 11.604 Euro bis 17.006 Euro. In dieser Zone steigt der Steuersatz stufenweise vom Einstiegssteuersatz 14 Prozent auf 23,97 Prozent. Diese Zone nennen Steuerfachleute auch „Progressionszone I“ oder „untere Progressionszone“.
  3. Tarifzone 3: Hier finden sich die Steuersätze für das zu versteuernde Einkommen zwischen 17.006 Euro bis 66.761 Euro. Sie liegen in dieser Zone zwischen 23,97 und 42 Prozent. In der Fachsprache ist es die „Progressionszone II“ oder „obere Progressionszone“.
  4. Tarifzone 4: Sie gilt für alle Einkommen zwischen 66.761 Euro und 277.825 Euro. In dieser Tarifzone steigt der Steuersatz nicht mehr an, sondern liegt konstant bei 42 Prozent. Aus der steigenden Kurve (der Progression) wird also eine waagerechte Linie. Deswegen wird die Zone mit dem Spitzensteuersatz auch „Proportionalzone I“ genannt.
  5. Tarifzone 5: Sie betrifft alle Einkommen ab 277.826 Euro. Hierfür zahlt man den Höchststeuersatz von konstant 45 Prozent („Reichensteuer“). Das ist die „Proportionalzone II“.

(Stand: 2024)

Lehrer erklärt etwas vor einer Schulklasse
© istock/Ridofranz/2020  Durch die Steuerprogression sollen Reiche mehr für Lehrkräfte, Polizei, Verwaltung und andere Staatsausgaben bezahlen.

Durchschnittssteuersatz und Grenzsteuersatz: Was ist was?

Die Frage „Wie hoch sind meine Steuern?“ ist durch die Steuerprogression etwas knifflig. Denn wegen der stufenweisen Besteuerung gibt es nicht „den einen” Prozentsatz bei der Einkommensteuer. Trotzdem kann man die Frage nach deiner persönlichen Steuerlast beantworten, und zwar mithilfe von Durchschnittssteuersatz und Grenzsteuersatz. 

Durchschnittssteuersatz: Er ist meistens gemeint, wenn man über seine Einkommensteuer spricht. Denn am Ende aller Rechnerei mit den verschiedenen Stufen steht eine Gesamtsumme, die du ans Finanzamt abführen sollst. Wie viel macht das von deinem zu versteuernden Jahreseinkommen aus? Diese Prozentzahl ist der Durchschnittssteuersatz. 

Grenzsteuersatz: Das ist der Steuersatz der höchsten Stufe, die du mit deinem Einkommen erreichst. Wenn du also eine Lohnerhöhung erhältst, ist klar, dass dieses Zusatzgeld mit diesem Steuersatz besteuert wird. Es sei denn, dein Einkommen erklimmt durch die Lohnerhöhung die nächste Stufe. Dann wird der Anteil, der über der Grenze liegt, mit dem nächsthöheren Prozentsatz besteuert – und der ist dann dein Grenzsteuersatz. 

Tabelle: So steigen die Steuersätze

Wie entwickeln sich Durchschnittssteuersatz und Grenzsteuersatz mit der Höhe des Einkommens? Unsere Tabelle zeigt es dir. (Stand: 2024, erstellt nach steuertabelle.com)

Zu versteuerndes EinkommenDurchschnittssteuersatzGrenzsteuersatzzu zahlende Einkommensteuer
10.000 €0,00 %0,00 %0,00 €
15.000 €3,78 %20,07 %581,00 €
20.000 €8,80 %25,06 %1.759,00 €
25.000 €12,23 %26,87 %3.057,00 €
30.000 €14.82 %28,68 %4.446,00 €
35.000 €16,93 %30,49 %5.925,00 €
40.000 €18,74 %32,30 %7.495,00 €
45.000 €20,34 %34,12 %9.155,00 €
50.000 €21,81 %35,93 %10.906,00 €
55.000 €23,18 %37,74 %12.748,00 €
60.000 €24,47 %39,55 %14.680,00 €
65.000 €25,70 %41,36 %16.703,00 €
70.000 €26,85 %42,00 %18.876,37 €
75.000 €27,86 %42,00 %21.226,27 €
80.000 €28,75 %42,00 %23.576,17 €

Kalte Progression: Was bedeutet das?

Viele denken: Die kalte Progression führt dazu, dass sie bei einer Gehaltserhöhung mehr Steuern zahlen müssen – und dadurch sogar weniger Geld zur Verfügung haben als ohne Gehaltserhöhung. Das stimmt nicht! Bei einer Gehaltserhöhung hast du unterm Strich immer mehr als vorher – Steuerprogression hin oder her. Denn denk dran: Wenn du durch eine Gehaltserhöhung in eine höhere Steuerstufe rutschst, gilt die ja nur für den obersten Teil deines Gehalts. Alles darunter wird besteuert wie zuvor. Die ersten rund 12.000 Euro zum Beispiel sind und bleiben gänzlich steuerfrei (Grundfreibetrag).

Richtig ist: Kalte Progression bedeutet, dass du dir trotz einer Gehaltserhöhung nicht so viel leisten kannst wie in früheren Zeiten. Das liegt daran, dass die Steuerprogression und die Inflation zusammenwirken. Durch die Inflation steigen die Preise, du kannst dir für dein Geld von Jahr zu Jahr weniger leisten. Und das könnte so bleiben, selbst wenn du vom Arbeitgeber eine Lohnerhöhung bekommst, die die Inflation eigentlich ausgleichen soll.

Video: Was ist die kalte Progression? – Finanzisch für Anfängerinnen und Anfänger

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© finanzministeriumTV 

Beispiel: So funktioniert die kalte Progression

  • Nehmen wir an, in einer Gruppe von Angestellten hat jede*r ein zu versteuerndes Einkommen von 13.000 Euro. Dafür zahlen sie jeweils einen Durchschnittssteuersatz von 1,64 Prozent, macht 213 Euro. Die Inflation beträgt in unserem Beispiel 3,85 Prozent. Das heißt, von den verbleibenden 12.787 Euro können sich unsere Beispiel-Angestellten mit der Zeit weniger kaufen.
  • Ihr Arbeitgeber möchte, dass sich seine Angestellten genauso viel leisten können wie vorher. Nehmen wir deshalb an, das zu versteuernde Einkommen unserer Beispiel-Arbeitnehmer*innen steigt um 3,85 Prozent– genau so viele Prozent, wie die Inflation beträgt. Es liegt dann bei 13.500 Euro.
  • Also können sie sich dasselbe leisten wie vorher? Nein. Denn ihr Lohnzuwachs landet in einer höheren Steuerstufe und ihr Grenzsteuersatz wird höher – wegen der Steuerprogression.
  • Statt 213 Euro, die beim bisherigen Durchschnittssteuersatz fällig gewesen wären, müssen unsere Beispiel-Angestellten nun 298 Euro Steuern zahlen. Das Nettoeinkommen steigt trotzdem, aber nicht um 3,85, sondern nur um knapp 3,25 Prozent. Bei einer Inflation von 3,85 Prozent können sie sich also dennoch weniger leisten als vor der Inflation.

Aber: Der Staat will diesen Effekt verhindern. Deswegen hebt die Regierung die Grenzwerte für die einzelnen Steuerstufen jedes Jahr an. Wenn die zweite Tarifzone im Jahr 2024 bei 17.006 Euro endet, liegt die Grenze im nächsten Jahr vielleicht schon bei 18.000 oder mehr Euro. Darunter zahlst du denselben Durchschnittssteuersatz wie zuvor – auch bei einer Gehaltserhöhung in Inflationshöhe. So soll die kalte Progression ausgebremst werden.

Immer ein Plus! Garantiert!

Ja, auch Gewinne durch eine Geldanlage bei der Hanseatic Bank musst du versteuern. Aber ohne Steuerprogression: Der Zinssatz bleibt immer gleich. Und mit einem Freistellungsauftrag sind bis zu 1.000 Euro sogar steuerfrei. Da bleibt ein sattes Plus in der Kasse!

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