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Pflichtteil: Wer kriegt was vom Erbe?

von Dagmar Sörensen, 25.11.2022

Eigentlich können Sie mit Ihrem Vermögen machen, was Sie wollen – und das in Ihrem Testament auch so festlegen. Aber eben nur eigentlich. Denn tatsächlich macht es der Gesetzgeber Ihnen sehr schwer, um nicht zu sagen unmöglich, einen nahen Angehörigen ganz leer ausgehen zu lassen. Stichwort: Pflichtteil für Erben. Der Pflichtteil ist eine Mindestbeteiligung am Nachlass. Wer einen Anspruch darauf hat, wie er berechnet wird und welche Ausnahmen es von der Regel gibt, erklären wir hier.

Themen in diesem Artikel

Auf den Punkt

  • Der Pflichtteil ist ein Mindestanteil am Erbe, auf das nahe Verwandte Anspruch haben.
  • Der Pflichtteil muss explizit eingefordert werden.
  • Er beträgt die Hälfte des gesetzlichen Erbteils.
  • Es gilt eine Verjährungsfrist von drei Jahren nach Kenntnis des Erbfalls.
  • Pflichtteilsberechtigte vollständig vom Erbe auszuschließen ist fast unmöglich.

Was ist ein Pflichtteil vom Erbe?

In Deutschland sagt das Gesetz: Nahe Verwandte einer*eines Verstorbenen („Erblasser“) haben Anspruch auf einen Mindestanteil am Erbe. Selbst dann, wenn sie laut Testament ausdrücklich ausgeschlossen, also enterbt wurden. Diesen Anteil nennt man Pflichtteil. Dahinter steht der Gedanke, dass ein*e Erblasser*in auch nach dem Tod eine Fürsorgepflicht für die nächsten Angehörigen hat.

Ein Pflichtteilsanspruch ergibt sich immer dann, wenn nahe Angehörige:

  • durch Testament oder Erbvertrag von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen werden.
  • im Nachlass zu wenig berücksichtigt wurden. Das ist immer dann der Fall, wenn jemandem weniger als die Hälfte des gesetzlichen Erbteils vererbt wurde.

Der Anspruch auf einen Pflichtteil ergibt sich immer erst mit dem Eintritt des Erbfalls. Es ist also nicht möglich, einen Pflichtteil schon zu Lebzeiten einzufordern.

Drei Generationen einer Familie rasten bei einer Wanderung mit Blick auf einen See
© istock/monkeybusinessimages/2018  Auch wenn’s in der Familie mal nicht mehr so harmonisch läuft: Kinder haben immer Anspruch auf den Pflichtteil vom Erbe.

Wer hat Anspruch auf einen Pflichtteil?

Wohlgemerkt: Nur sehr nahestehende Verwandte können trotz Testament ihren Pflichtteil verlangen. Gemäß § 2303 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) sind das:

  • Kinder, Enkel*innen und Urenkel*innen, egal ob ehelich, unehelich oder adoptiert 
  • Ehegatt*innen oder eingetragene gleichgeschlechtliche Lebenspartner*innen
  • Eltern der*des Verstorbenen

Dagegen sind Geschwister, (nicht eheliche) Lebenspartner*innen, Großeltern und noch weiter entfernte Verwandte in der Regel nicht pflichtteilsberechtigt.

Aber: Rechtlich ist es nicht dasselbe, ob man pflichtteilsberechtigt ist, oder ob man auch einen Anspruch darauf hat. Der Unterschied: Manche Berechtigte kommen erst zum Zug, wenn andere schon verstorben sind. Ehe- beziehungsweise Lebenspartner*innen und direkte Abkömmlinge – also Kinder – werden vor weiter entfernten Abkömmlingen – also Enkel*innen und Urenkel*innen – grundsätzlich zuerst „bedient“. Die Reihenfolge, in der Pflichtteile beansprucht werden können, sieht also wie folgt aus:

  • Kinder und Ehepartner*innen: immer 
  • Enkel*innen: nur, wenn ihre Eltern bereits verstorben sind
  • Eltern der*des Verstorbenen: nur, wenn weder Kinder noch Enkel*innen noch Ehe- oder Lebenspartner*innen existieren,
  • die*der Erblasser*in also alleinstehend und kinderlos war.

Geschwister der*des Verstorbenen sind eigentlich nicht pflichtteilsberechtigt. Trotzdem können sie in Ausnahmefällen über die gesetzliche Erbfolge Anspruch auf einen Pflichtteil haben. Nämlich dann, wenn die*der Erblasser*in unverheiratet und kinderlos war und die Eltern bereits verstorben sind.

Erben und Vererben: Pflichtteil

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Pflichtteil muss eingefordert werden

Den Pflichtteil bekommen Sie nicht automatisch, Sie müssen ihn aktiv einfordern und schlimmstenfalls sogar einklagen! Dazu wenden Sie sich an die im Testament benannten Erben und verlangen Ihren Anteil. Dazu können Sie zum Beispiel dieses Musteranschreiben zur Auszahlung des Pflichtteils (Word-Datei zum Download) verwenden. 

Wegen der gesetzlichen Verjährungsfrist müssen Sie die Einforderung innerhalb von drei Jahren einreichen, nachdem Sie vom Erbfall erfahren haben. Dabei beginnt die Frist am Ende des entsprechenden Jahres.

Beispiel: Ihr Vater verstirbt im Dezember 2018, Sie erfahren davon und von Ihrer Enterbung aber erst im Februar 2019. In diesem Fall beginnt die Verjährungsfrist am 31. Dezember 2019 und endet am 31. Dezember 2022.

Frau sitzt mit Laptop auf dem Boden und stellt Berechnungen an
© istock/damircudic/2020  Der Pflichtteil lässt sich ausrechnen, wenn Sie wissen, wie hoch das Erbe ist und wer Ansprüche hat.

Wie wird der Pflichtteil berechnet?

Um den Pflichtteil zu ermitteln, benötigen Sie erst einmal die genaue Erbmasse: Wie hoch ist das Erbe insgesamt? Deshalb richten Sie als Erstes ein sogenanntes Auskunftsbegehren wie in diesem Musteranschreiben (Word-Datei zum Download) an den oder die Erbe*n. Der oder die ist*sind verpflichtet, den Pflichtteilsberechtigten ein Nachlassverzeichnis zur Verfügung zu stellen, in dem alles aufgelistet ist, was ein Vermögen darstellt: Geldvermögen, Haus, Grundstücke, Wertpapiere oder Kunstgegenstände – aber auch mögliche Schulden der*des Verstorbenen. Wenn Sachwerte im Spiel sind, können Pflichtteilsberechtigte eine Schätzung durch Sachverständige verlangen.

Wie hoch dann ein Pflichtteil ausfällt, richtet sich nach der Größe des Erbes, der Anzahl der Personen, die ein Recht auf den Erb- oder Pflichtteil haben und der Quote gemäß der gesetzlichen Erbfolge. Denn: Die Höhe des Pflichtteils beträgt 50 Prozent des gesetzlichen Erbteils. Wie hoch der im Einzelnen ausfällt, können Sie zum Beispiel mithilfe von Pflichtteilrechnern im Internet bestimmen. 

Beispiel: Ein Witwer hat drei Kinder; der Nachlass beläuft sich auf 300.000 Euro. Gemäß der gesetzlichen Erbfolge würde das Erbe unter den Kindern aufgeteilt, jedes Kind bekäme also ein Drittel, sprich 100.000 Euro. Der Mann hat jedoch im Testament alles einem Kind vermacht und die anderen beiden enterbt. Die leer ausgegangenen Kinder können von der*dem Alleinerb*in also jeweils 50.000 Euro verlangen.

Der Pflichtteil ist übrigens immer ein finanzieller Anspruch. Einfordern können Sie also immer nur Geld und nicht zum Beispiel ein Gemälde oder ein bestimmtes Möbelstück.

Älteres Ehepaar blickt auf seine Kinder und Enkel
© istock/skynesher/2019  Durch ein Berliner Testament erben oft erst die Ehepartner*innen, erst nach deren Tod kommen die Kinder dran.

Sonderfall Berliner Testament

Vom Berliner Testament spricht man, wenn sich Eheleute für den ersten Erbfall gegenseitig zu alleinigen Erben einsetzen. In der Regel wird dann weiterhin vereinbart, dass nach dem Tod des zweiten Ehepartners die gemeinsamen Kinder zu gleichen Teilen erben.

Damit soll vor allem die Versorgung des überlebenden Ehepartners gesichert werden – trotzdem haben die Kinder einen Anspruch auf einen Pflichtteil, den sie nach dem Tod des einen Elternteils einfordern könnten. Oft wird deshalb im Berliner Testament eine „Pflichtteilsstrafklausel“ aufgenommen. Die besagt salopp ausgedrückt: „Wenn du nach dem Tod des ersten Elternteils deinen Pflichtteil einforderst, musst du dich nach dem Tod des zweiten Elternteils auch mit dem Pflichtteil zufriedengeben.“

Können Kinder ohne Pflichtteilsanspruch enterbt werden?

Theoretisch ja, praktisch ist es sehr schwierig. Und: Die Gründe für den Entzug des Pflichtteils müssen im Testament oder Erbvertrag ausdrücklich dargelegt werden. Solche Gründe liegen vor, wenn die*der Pflichtteilsberechtigte ...

  • die*den Erblasser*in getötet hat.
  • der*dem Erblasser*in oder einer*einem nahen Angehörigen nach dem Leben trachtet oder getrachtet hat.
  • sich eines Verbrechens oder eines schweren Vergehens gegen die*den Verstorbene*n oder eine nahestehende Person schuldig gemacht hat. Dazu zählen zum Beispiel Diebstahl oder Körperverletzung, aber keine Beleidigung.
  • zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ohne Bewährung verurteilt oder deswegen rechtskräftig in einer psychiatrischen Einrichtung untergebracht wurde.

Dass ein Kind den Kontakt zu den Eltern abgebrochen hat und sich nicht um sie kümmert, reicht dagegen nicht für eine komplette Enterbung ohne Pflichtteilsanspruch.

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