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Gesetzliche Erbfolge: Wer ist beim Erben der Erste?

von Detlev Neumann, 10.01.2023

Jeder Schrank ist durchsucht, jeder Teppich hochgehoben, jedes Kleidungsstück abgetastet – und doch ist weder ein Testament noch ein Erbvertrag des Verstorbenen aufgetaucht. Damit stehen die Hinterbliebenen vor der Frage, was mit dem Nachlass passieren soll. Wer hat darauf eine Antwort? Der Staat. Er löst das Problem mit der gesetzlichen Erbfolge. Und die funktioniert ähnlich wie die Thronfolge in den Königshäusern: Wer am nächsten mit dem Verstorbenen verwandt ist, kommt als Erster dran.

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Gesetzliche Erbfolge Schaubild

Erbfolge: Was sagt das Gesetz?

Hat ein Verstorbener seinen Nachlass nicht geregelt, gilt die gesetzliche Erbfolge. Die ist im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) festgelegt, und zwar in den Paragraphen 1924 bis 1936. Dabei gilt im Prinzip das Motto „Blut ist dicker als Wasser“ – denn die Erbfolge richtet sich nach dem Grad der Abstammung in einer Familie.

Dafür hat der Staat ein abgestuftes, dreiteiliges System entwickelt. Es unterteilt die Erbberechtigten in Gruppen, die sogenannten Ordnungen. Sie sortieren, wer besonders „eng“ mit dem Verstorbenen verwandt ist und wer weniger. Gleichzeitig regeln sie, wer zuerst erbberechtigt ist. Die Reihenfolge lautet: 1. Ordnung vor 2. Ordnung, 2. Ordnung vor 3. Ordnung.

Die drei Ordnungen der gesetzlichen Erbfolge in Deutschland
1. OrdnungAbkömmlinge des Erblassers (Kinder, Enkel, Urenkel usw.)
2. OrdnungEltern des Erblassers sowie deren Abkömmlinge (Geschwister, Nichten und Neffen des Erblassers, außerdem dessen geschiedene Elternteile)
3. OrdnungGroßeltern des Erblassers sowie deren Abkömmlinge (Tanten und Onkel, Cousinen und Cousins des Erblassers)
  

 

Wie funktioniert die Erbfolge im Detail?

Das System der drei Ordnungen hat direkten Einfluss auf die Erbreihenfolge. Doch wie wird der Nachlass verteilt? Bekommen die Mitglieder der 1. Ordnung alles? Oder erhalten auch die anderen etwas vom Nachlass? Auch darauf gibt der Staat eine klare Antwort.

Gesetzliche Erbreihenfolge nach Ordnungen
SituationErbanteil
Es gibt Erben 1. Ordnung.Die Erben 1. Ordnung bekommen den gesamten Nachlass beziehungsweise teilen ihn unter sich auf. Wer zur 2. oder 3. Ordnung gehört, hat keinen Erbanspruch.
Es gibt keine Erben 1. Ordnung*.Die Erben der 2. Ordnung bekommen den gesamten Nachlass beziehungsweise teilen ihn unter sich auf. Wer zur 3. Ordnung gehört, hat keinen Erbanspruch.
Es gibt keine Erben 1. und 2. Ordnung*.Die Erben der 3. Ordnung bekommen den gesamten Nachlass beziehungsweise teilen ihn unter sich auf. 
Es gibt überhaupt keine Erben.Das Erbe geht an das Bundesland, in dem der Verstorbene seinen letzten Wohnsitz hatte. Lebte der Verstorbene im Ausland, bekommt der Staat den Nachlass („Staatserbschaft“).
*oder sie lehnen das Erbe ab

Auf den ersten Blick sortiert dieses System die Erbreihenfolge zwar recht eindeutig. Trotzdem sind damit nicht immer alle Fragen beantwortet. Was zum Beispiel passiert, wenn es mehrere Generationen von Erben in einer Ordnung gibt? Also gleichzeitig Kinder, Enkel und Urenkel? Wer von ihnen hat dann das Vorrecht auf den Nachlass?

Fünf Matroschka-Puppen stehen hintereinander auf einem Tisch
© istock/dapetheape/2013  Die gesetzliche Erbfolge regelt auch, wer innerhalb einer gleichartigen Ordnung Vorrang hat.

Auch das hängt wieder vom Grad der Verwandtschaft ab: Je kürzer die „Blutlinie“ von Hinterbliebenen zum Verstorbenen ist, desto eher haben sie Zugriff auf sein Hab und Gut. Sprich: Innerhalb einer Ordnung kommen erst die Älteren, dann die Jüngeren an die Reihe.

Beispiele zur Erbreihenfolge innerhalb einer Ordnung
SituationErbreihenfolge
Der Verstorbene hinterlässt mehrere Generationen von Erben 1. Ordnung.Hatte der Verstorbene Kinder, geht sein Nachlass an sie. Können oder wollen seine Kinder das Erbe nicht annehmen, sind seine Enkel begünstigt. Können oder wollen auch seine Enkel das Erbe nicht annehmen, sind seine Urenkel begünstigt. Und so weiter.
Der Verstorbene hinterlässt mehrere Generationen von Erben 2. Ordnung.Leben noch die Eltern des Verstorbenen, geht sein Nachlass an sie. Können oder wollen seine Eltern das Erbe nicht annehmen, sind seine Geschwister begünstigt. Können oder wollen auch seine Geschwister das Erbe nicht annehmen, sind seine Nichten und Neffen begünstigt. Und so weiter.
Der Verstorbene hinterlässt nur mehrere Generationen von Erben 3. Ordnung.Leben noch die Großeltern des Verstorbenen, geht sein Nachlass an sie. Können oder wollen seine Großeltern das Erbe nicht annehmen, sind seine Tanten oder Onkel begünstigt. Können oder wollen auch seine Tanten oder Onkel das Erbe nicht annehmen, sind seine Cousinen oder Cousins begünstigt. Und so weiter.
  

Gehören Ehepartner auch zur gesetzlichen Erbfolge?

Nein. Wie bereits erwähnt, gehören Ehegatten und eingetragene Lebenspartner nicht zur direkten Verwandtschaft. Sie sind deshalb kein Teil der gesetzlichen Erbfolge. Trotzdem haben sie einen Anspruch auf das Vermächtnis (§ 1931 ff. BGB). Wie hoch der ausfällt, hängt von der Ordnung anderer Erben ab. Grundsätzlich sieht die Verteilung so aus:

Gesetzlicher Erbanspruch von Ehepartnern
SituationErbanteil
Es gibt Erben 1. Ordnung.Ehegatten bzw. eingetragene Lebenspartner erben ein Viertel des Nachlasses. Der Rest geht an die anderen Erben.
Es gibt nur Erben 2. Ordnung oder die Großeltern des Verstorbenen.Ehegatten erben die Hälfte des Nachlasses. Der Rest geht an die anderen Erben.
Es gibt weder Erben 1. Ordnung und 2. Ordnung noch Großeltern.Ehegatten bzw. eingetragene Lebenspartner erben den kompletten Nachlass.
  

Für den Erbanteil spielt auch der Güterstand eine Rolle. Der regelt die finanziellen Verhältnisse unter den Ehepartnern. Wurde nichts anderes vereinbart, so gilt automatisch die sogenannte Zugewinngemeinschaft. Danach behält jeder Ehegatte oder Lebenspartner sein eigenes Vermögen, das er vor der Partnerschaft hatte. Stirbt einer der beiden, findet ein „Zugewinnausgleich“ statt. Das heißt: Alles, was beide zusammen an Kapital angesammelt haben, wandert in einen gemeinsamen Topf. Welche Folgen hat das?

Einfluss der Zugewinngemeinschaft auf den Erbanteil
SituationErbanteil
Es gibt Erben 1. Ordnung.Ehegatten bzw. eingetragene Lebenspartner erben die Hälfte des Nachlasses. Der Rest geht an die anderen Erben.
Es gibt nur Erben 2. Ordnung oder die Großeltern des Verstorbenen.Ehegatten bzw. eingetragene Lebenspartner erben drei Viertel des Nachlasses. Der Rest geht an die anderen Erben.
Es gibt weder Erben 1. Ordnung und 2. Ordnung noch Großeltern.Ehegatten bzw. eingetragene Lebenspartner erben den kompletten Nachlass.
  

Ein weiterer Güterstand ist die Gütertrennung. Sie gilt nicht automatisch, sondern muss von den Partnern vertraglich vereinbart werden. Dann behält jeder Partner sein selbst angeschafftes Vermögen. Also auch das, was er während der Beziehung verdient hat. Und wenn nun einer der Ehepartner verstirbt? Dann gilt dasselbe wie bei der Zugewinngemeinschaft – es sei denn, der Verstorbene hatte Kinder. In diesem Fall funktioniert es so:

Einfluss der Gütertrennung auf den Erbanteil
SituationErbanteil
Der Erblasser hinterlässt Ehegatten und ein Kind.Ehegatte bzw. eingetragener Lebenspartner und Kind erben jeweils die Hälfte des Nachlasses.
Der Erblasser hinterlässt Ehegatten und zwei Kinder.Ehegatte bzw. eingetragener Lebenspartner und Kinder erben jeweils ein Drittel des Nachlasses.
Der Erblasser hinterlässt Ehegatten und drei Kinder.Ehegatte bzw. eingetragener Lebenspartner und Kinder erben jeweils ein Viertel des Nachlasses. Und so weiter.
  

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