Frau liegt in einer Hängematte
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Bedingungsloses Grundeinkommen: Die fünf häufigsten Fragen

Anna Ostrowska
von Anna Ostrowska, 04.11.2021

Jeden Monat 1.000 Euro – einfach so. Geschenkt vom Staat. Und das für jede*n. Das ist die Idee hinter dem bedingungslosen Grundeinkommen. Mehr als die Hälfte der Deutschen sind laut einer Umfrage dafür. Aber wozu soll das überhaupt gut sein? Ist geschenktes Geld nicht eine Einladung in die Hängematte? Oder dient es im Gegenteil als Sprungbrett für die erträumte Karriere? Die KlarMacher beantworten die fünf häufigsten Fragen zum bedingungslosen Grundeinkommen.

Themen in diesem Artikel

Auf den Punkt

Auf den Punkt

  • Das bedingungslose Grundeinkommen sollen alle Menschen vom Staat bekommen.
  • Es gibt über 30 verschiedene Konzepte zum Grundeinkommen. 
  • Je nach Modell soll jeder Mensch 400 – 1.500 Euro monatlich erhalten. 
  • Jede*r bekommt dieselbe Summe, egal ob bedürftig oder nicht. 

1. Was ist das bedingungslose Grundeinkommen?

Wie viel benötigt ein Mensch, um sorgenfrei zu leben? Wie viel Geld braucht ein Mensch für seine Grundbedürfnisse, wie eine Unterkunft und Essen? Diesen Betrag sollten alle monatlich bekommen – das ist der Gedanke hinter dem bedingungslosen Grundeinkommen. Jede*r erhält dieselbe Geldsumme – ohne Gegenleistung. Es gibt keine Verpflichtung zum Arbeiten. Wer arbeitet, bekommt das Grundeinkommen zusätzlich zum Lohn. 

Die Idee eines Grundeinkommens für alle ist nicht neu und wird schon seit Jahrzehnten diskutiert. Einer der prominentesten Unterstützer ist der Gründer der dm-Drogeriemarktkette Götz Werner. Ein anderer bekannter Befürworter ist Thomas Behring. Er hat 2014 in Deutschland den Verein „Mein Grundeinkommen” gegründet. Sie können dort an einer Verlosung teilnehmen, bei der regelmäßig ein monatliches Grundeinkommen von 1.000 Euro für ein Jahr an eine Person verteilt wird. Privatpersonen spenden mittels Crowdfunding für dieses Projekt.

Michael Bohmeyer sitzt am Schreibtisch
© meingrundeinkommen/Fabian Melber  Michael Bohmeyer ist der Initiator des Pilotprojekts „Mein Grundeinkommen”.

2. Was sind die Pro- und Contra-Argumente?

Für die einen ist die Einführung des Grundeinkommens ein Weg zu mehr Gleichheit und Gerechtigkeit, für die anderen ein Luftschloss. Welche positiven Auswirkungen erhoffen sich die Befürworter*innen? Welche negativen Folgen befürchten die Gegner*innen?

Pro-Argumente

  • Vereinfachung der Bürokratie: Wer kein Einkommen hat oder davon nicht leben kann, bekommt bislang eine Grundsicherung ‒ das sogenannte Hartz IV. Doch dafür ist ein langer, komplizierter Antrag nötig. Das Amt prüft dann, ob alle Angaben richtig sind. Das kostet Zeit und Geld. Wenn alle von vornherein eine festgelegte Summe bekommen, würde dieser Aufwand wegfallen.
  • Verringerung der Armut: Das Grundeinkommen ist deutlich höher als Hartz IV. Manche verzichten auch aus Scham auf Sozialleistungen und bleiben lieber arm – eine solche verdeckte Armut gäbe es dann nicht mehr. Oder plötzlich insolvent, arbeitslos oder -unfähig? Auch in Krisenzeiten käme niemand in eine finanzielle Notlage. 
  • Weniger Diskriminierung: Um das Grundeinkommen zu bekommen, muss kein Mensch seine „Bedürftigkeit” nachweisen. Niemand würde als „Hartz IV-ler” oder „Sozialschmarotzer” abgestempelt, weil alle Grundeinkommen-Empfänger sind.
  • Mehr Kreativität und Gemeinnützigkeit: Wenn der finanzielle Druck wegfällt, hätten die Menschen mehr Zeit für kreative Hobbys. Und für die Gemeinschaft – etwa um Kinder zu betreuen, Verwandte zu unterstützen, ehrenamtlich zu helfen oder Freundschaften zu pflegen. 
  • Geringere Krankenquote: Die finanzielle Sicherheit soll sich positiv auf die allgemeine Zufriedenheit und Gesundheit auswirken. Denn die Menschen hätten weniger Sorgen, Stress, Schlafmangel, Depressionen und so weiter.

Contra-Argumente

  • Nicht bezahlbar: Um das Geld für das bedingungslose Grundeinkommen zusammen zu bekommen, müsste der Staat die Steuern erhöhen (siehe nächstes Kapitel). Aber das allein würde nicht reichen. Außerdem: Wie viel Geld fließt dann noch überhaupt in die Bundeskasse, falls weniger Menschen arbeiten und somit keine Steuern zahlen? 
  • Zu wenig Arbeitskräfte: Wenn jede*r 1.000 Euro oder mehr vom Staat geschenkt bekommt, würde Deutschland zum Faulenzerparadies. Mehr zu dieser Frage lesen Sie im Kapitel „Hören dann nicht alle auf zu arbeiten?”.
  • Schwächung der Wirtschaftskraft: Gutverdienende könnten durch die Steuererhöhung weniger in der Tasche haben als vorher. Die Folge: Sie geben weniger aus. Wenn dadurch die Unternehmen weniger Geld verdienen, müssten sie Leute entlassen oder ihre Preise stark erhöhen. 
  • Ungerechte Finanzierung: Manche Menschen müssten durch die starken Steuererhöhungen deutlich mehr an den Staat zahlen als bisher. Aber es würde eben nicht nur die Gutverdienenden, sondern auch die Geringverdienenden betreffen. Warum? Weil die Lebenshaltungskosten steigen würden. Keiner könnte die Firmen daran hindern, die Preise einfach zu erhöhen, um zum Beispiel höhere Lohnkosten auszugleichen. 
  • Unbekannte Auswirkungen: Viele möglichen riskanten Entwicklungen lassen sich nicht vorhersagen. Wird die nächste Generation zum Nichtstun ermutigt? Wer quält sich dann noch durch ein Studium, wenn es immer genug Geld gibt? Was passiert mit der Rente? 
Ein Taschenrechner liegt auf mehreren Euroscheinen
© istock/Christian Horz/2019  Welchen Betrag es beim bedingungslosen Grundeinkommen geben soll, darüber sind sich die Befürworter*innen uneins.

Wie soll es finanziert werden?

Knapp eine Billion Euro pro Jahr kostet es den Staat, wenn alle Menschen in Deutschland monatlich 1.000 Euro Grundeinkommen bekommen würden. Die Verwaltungskosten sind dabei noch nicht eingerechnet. Klar ist, dass das Steuer- und Sozialsystem grundlegend geändert werden müsste. 

Die Befürworter*innen argumentieren mit den Einsparungen im Sozial- und Verwaltungssystem. Das Grundeinkommen ersetze andere Sozialleistungen, wie zum Beispiel das Arbeitslosengeld, Kindergeld, BAföG und die Sozialhilfe. Auch im Gesundheitssystem würden die Kosten sinken. 

Der Rest soll über eine Steuererhöhung finanziert werden ‒ je nach Konzept entweder die Mehrwertsteuer um bis zu 70 Prozent oder die Einkommensteuer:

  1. Mehrwertsteuererhöhung: Sie zahlen bei jedem Einkauf Mehrwertsteuer. In Deutschland ist der Regelsatz 19 Prozent (bei einigen Produkten gilt ein ermäßigter Satz von sieben Prozent). Bei einem T-Shirt für 30 Euro bekommt der Händler 25,21 Euro, dazu werden 19 Prozent addiert (= 4,79 Euro), die als Mehrwertsteuer in die Staatskasse wandern. Wenn der Staat den Regelsatz um 50 Prozent erhöht, kommen 28,5 statt 19 Prozent Mehrwertsteuer auf den Händlerpreis obendrauf. Das T-Shirt würde also rund 33 Euro kosten.
  2. Einkommensteuererhöhung: Jedem Menschen steht das Grundeinkommen in Form eines monatlichen Vorschusses steuerfrei zur Verfügung. Wer aber mehr als einen festgelegten Betrag pro Monat verdient, zahlt das Grundeinkommen zum Teil oder vollständig über die höhere Einkommensteuer zurück. Nur die, die es nicht können, zahlen es nicht zurück. Mehr über die Einkommenssteuer in Deutschland lesen Sie im Artikel „Steuerprogression kinderleicht erklärt“.

Bedingungsloses Grundeinkommen: finanzierbar?

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© alpha Lernen 

4. Hören dann nicht alle auf zu arbeiten?

Nein, sagen die Befürworter*innen: Der Leistungsdruck fällt weg. Jede*r sucht sich die Arbeit, die Spaß macht und motiviert. Die finanzielle Sicherheit ermöglicht Weiterbildungen und Unternehmensgründungen. Dadurch entstehen neue innovative Berufe. Die unbeliebten Jobs werden besser bezahlt und mehr respektiert. 

Ja, sagen die Gegner*innen: Niemand macht ohne finanziellen Druck die unattraktiven Jobs. Wer arbeitet dann noch auf dem Land? Oder macht die gefährlichen und unbequemen Jobs? Schon jetzt fehlen zum Beispiel Fachkräfte in ländlichen Gegenden. Die Arbeitgeber*innen stellen dann illegale Einwanderer*innen an, weil die Lohnforderungen der Grundeinkommen-Bezieher*innen zu hoch sein werden. 

Und was stimmt nun? Suchen sich Menschen ohne finanziellen Druck vielleicht sogar eher eine Arbeit? Das wollten die Finnen herausfinden und starteten einen Modellversuch: Zwei Jahre lang erhielten 2.000 Arbeitslose 560 Euro, ohne diese beantragen zu müssen. Das Grundeinkommen wirkte sich positiv auf das Wohlbefinden der Teilnehmer aus, doch die meisten blieben arbeitslos.

@BGEpilotprojekt

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5. Wann kommt das Grundeinkommen nach Deutschland?

In naher Zukunft vermutlich gar nicht: Keine der im Bundestag vertretenen Parteien fordert das Grundeinkommen (Stand: 09/2021). Die Linken, Grünen und einige Mitglieder*innen der SPD können sich zumindest einige Schritte in diese Richtung vorstellen.

Michael Bohmeyer von „Mein Grundeinkommen” hofft, dass man durch positive Praxisbeispiele der Einführung etwas näher kommt. Neben der Verlosung läuft bereits ein weiterer Test: Am 1.Juni.2021 begann in Deutschland eine Langzeitstudie zum bedingungslosen Grundeinkommen. Die 122 Teilnehmer*innen bekommen drei Jahre lang 1.200 Euro monatlich – unter einer Bedingung: Sie müssen alle sechs Monate einen Fragebogen ausfüllen. Die Antworten werden mit denen aus einer Kontrollgruppe verglichen, die kein Geld erhält.

Die Forscher*innen wollen mit dem Pilotprojekt herausfinden, wie sich das zusätzliche Geld auf das Leben der Menschen auswirkt: Verändert sich zum Beispiel das Berufsleben – arbeiten mehr Menschen in Teilzeit? Verändert sich die Ernährung? Verändern sich die Beziehungen? Gibt es dabei Unterschiede nach Alter, Wohngegend und Verdienst? In der zweiten Stufe des Projekts soll auch die mögliche Finanzierung geprüft werden. 

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